Freitag, 15. Juni 2012

Das Beste kommt zum Schluss ...

Das Beste kommt zum Schluss, so heißt ein halbwegs erfolgreicher amerikanischer Film aus dem Jahre 2007. Nun wäre es unfair gegenüber den anderen Highlights ihn auf den letzten Tag unserer Studienreise anzuwenden und auch nur eine persönliche Bewertung, aber der letzte Tag hatte es in zweifacher Weise in sich.
Gisela Dachs (rechts) beim Frühstück im Hotel
Nachdem ich mich vor zwei Jahren vergeblich per Mail um einen Kontakt mit der Zeit-Auslandskorrespondentin in Tel Aviv, Gisela Dachs, bemüht hatte -meine Mails kamen irgendwie nicht durch den Spam-Filter- klappte es dieses Mal per Fax zwar nicht sofort, aber nach der Eliminierung eines Zahlendrehers dann schließlich doch. Die Hartnäckigkeit hat sich gelohnt, denn wir erlebten ein unheimlich informatives und aufrüttelndes Gespräch. Frau Dachs kommt gerade von einer Einladung bei der Witwe des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, Ulla Unseld-Berkéwicz, aus Berlin zurück, und steigt mit einem Bericht zum Besuch von Bundespräsident Gauck in der Vorwoche ein. Sie hebt hervor wie glaubwürdig Gauck die guten Beziehungen zu Israel verkörpert hat, ohne sich auf eine von weiten Teilen der Presse erwartete künstliche und blutleere Balance mit den Erwartungen der palästinensischen Seite einzulassen. Sie bedauert die oft reflexhafte, manchmal unberechtigte Kritik gegenüber Israel, auch wenn z. B. bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Steff Wertheimer -wir besuchten seinen Industriepark Zur Lavon und die berufliche Ausbildungsstätte dort, siehe unten 31. Mai)- in der Presse in kritischer Weise alte Klischees des reichen Juden bedient würden. Insgesamt bestätigt sie die Analyse von Botschafter Michaelis, dass Deutschland, vor allem Berlin, in Israel, vor allem bei der Jugend, immer beliebter wird, während Israel in Deutschland, auch bei Intellektuellen, immer mehr an Sympathien verliere. Das liege häufig daran, dass man es sich zu einfach mache und die komplexe Situation nicht genug kenne und berücksichtige. Hier ein Artikel zur Kritik an der Grass-Kritik: "Wer Schriftsteller boykottiert, verbrennt am Ende Bücher."



Nach diesem Einstieg erläutert sie uns ihren eigenen beruflichen Werdegang von Weiden in der Oberpfalz über ein Studium in Paris (Literatur und Philosophie an der Sorbonne) in die Redaktion der französischen Zeitung Liberation und schließlich Die Zeit nach Hamburg. Dort arbeitete sie mit Theo Sommer und Helmut Schmidt und wurde schließlich nach den Diskussionen um den Golfkrieg 1990 ("Kein Blut für Öl" und Wolf Biermann: "Damit wir uns richtig missverstehen. Ich bin für diesen Krieg") 1994 als Auslandskorrespondentin nach Tel Aviv entsandt. Man kann nicht über Israel und den Nahen Osten schreiben, wenn man nicht dort lebt oder lange gelebt hat.


Die Situation vor Ort erlebt sie augenblicklich als entspannt. Ein Angriff auf Iran? Höchst unplausibel. Sie kann unsere Sicherheitsbedenken nur mit Mühe nachvollziehen (Warum Netanjahu den Krieg nicht will.) Die Saudis haben noch größere Angst vor einer iranischen Bombe als Israel und der Druck auf das iranische Regime muss aufrecht erhalten werden. Mittel- und langfristig sieht sie die Lage allerdings gefährdet. "Ich möchte kein Untergangszenario schreiben." Aber die zunehmende Islamisierung in den umliegenden Ländern (Stichwort Arabischer Frühling), ausbleibende Gaslieferungen aus Ägypten, aber auch die Konflikte zwischen Religiösen und Säkularen innerhalb der israelischen Gesellschaft stellen existentielle Gefahren dar. Hier muss Israel flexibel und kompromissbereit sein benötigt aber auch Unterstützung von außen. Denn, und nun bietet sie uns auch eine historische Dimension an, indem sie Dan Diner zitiert. "Israel ist nicht in Europa aber -der Kultur und Zivilisation nach- von Europa. Als der zionistisch-säkulare Staatsgründer Ben Gurion den damals wenigen Ultra-Orthodoxen Sonderrechte (Wehrdienstbefreiung, staatliche Unterstützung) einräumte, war die heutige Situation mit 20% Bevölkerungsanteil und rasantem Wachstum nicht absehbar. Das aktuelle Urteil des obersten Gerichtshofs, das eine Abschaffung des Wehrdienstprivilegs für Ultra-Orthodoxe fordert stellt eine gesellschaftliche und politische Herausforderung für den Staat Israel dar. Dabei sind auch Überlegungen im Gange, einen Zivildienst einzuführen, der dann auch für arabische Bürger offen stehen könnte. Denn nach wie vor sind arabische israelische Staatsbürger ( 1 Million) vom Wehrdienst, und damit von der gesellschaftlichen Teilhabe, ausgeschlossen.


Warum sollten Lehrer und Lehrerausbilder nach Israel und in den Nahen Osten kommen? Warum sollte der Nahe Osten Thema im Unterricht sein? Um daran zu lernen, genauer hinzu schauen, differenzierter zu denken. "To think out of the box", war ein Ausdruck, der ins Gespräch eingebracht wurde. Das wäre ein Weg zu interkultureller Sensibilität und interkulturellem Lernen, das in einer globalisierten Welt überall notwendig ist, um sich auf universelle Werte zu einigen und ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.


Die Zeit ist zu kurz. Wir machen noch einen geistigen Verdauungsspaziergang an der Promenade des Alten Hafens, nachdem die Koffer gepackt sind. Wir gehen verwirrter als wir gekommen sind, hat einmal ein Teilnehmer gesagt. "We are confused - but on a higher level", sagt eine Organisatorin von Israelstudienreisen. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Frau Dachs sagt zu, zu einem Vortrag beim Deutsch-Israelischen Freundeskreis nach Karlsruhe zu kommen. Wir freuen uns darauf.

Wir müssen um 12 Uhr auschecken. Unser Flug geht um 18 Uhr. Monika hat für uns eine Promenade am alten Hafen in Jaffa und ein anschließendes Mittagessen im Fischlokal Bei Rauf und Attina organisiert. Sie macht uns vorab mit den Eigenarten der Gastwirtsgeschwisterpaares bekannt und stimmt uns auf die Baulichkeiten ein: "Bruchbude", lobt aber das Essen in höchsten Tönen. Und darauf käme es schließlich an. Wie recht sie hat. Wir sitzen schließlich mit Meerblick auf der Terrasse und genießen beides Ambiente und Essen.






  

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